"SG Castrop hat mal hoch gespielt!"
wurde mir in den 80er Jahren zu Bezirksligazeiten von seiten der Generation über mir versichert.
Und das sogar mit anderen Castroper Vereinen wie Arminia Ickern oder VfB Habinghorst.
Ungläubig habe ich genauer nachgefragt:
"Wie hoch denn eigentlich? Und wann war das?"
Die Antwort war meistens Schweigen, denn meiner Erfahrung nach empfindet man die Vergangenheit höchstens als Erinnerung eigener Erfolge,
in der Fakten wie Tabellen eine untergeordnete Rolle spielen. Und auch die ligentechnische Einordnung der Verbands-, Landes oder Bezirksliga bereitet vielen Schwierigkeiten
oder ist zumindest uninteressant.
Also bin ich dann zunächst nach Kaiserau, der Sportschule des Fußball- und Leichtathletikverbands (FLVW) gefahren und habe Abschlußtabellen herauskopiert -
und tatsächlich: SG Castrop tauchte wirklich in der Verbandsliga auf.
Das war es aber noch nicht. Mir fiel ein zweites Zitat ein.
"Mensch Ernst, den hättest du früher mit links reingemacht!"
kann und konnte man oft von den Rängen hören, wenn eine gute Chance vergeben wurde.
Ich habe mich gefragt: "Wer ist dieser Ernst eigentlich? Wie hoch hat der gespielt? Und wie oft hat er da gespielt? Und hätte er den wirklich mit links reingemacht?"
Das ging aus den Tabellen leider nicht hervor, weil Ergebnisse und Mannschaftsaufstellungen nicht vom FLVW archiviert wurden. Daraufhin habe ich die Stadt Castrop und die Ruhr-Nachrichten aufgesucht, um deren Archive auszuwerten,
vor allem um die Fußballyrik vor Ort von der Realität zu trennen.
Bis dahin war das Ganze aber nur eine Sammlung statistischer Daten. Damit daraus eine Chronik werden konnte, fehlten Menschen und Gesichter und die dazugehörigen Namen, die den Verein ausmach(t)en.
Dafür habe ich eine Menge Interviewpartner (ehemalige Spieler, Photographen, Zuschauer ...) aufgesucht und Bilder, Akten, Geschichten, Anstecknadeln, Trikots und sonstige Erinnerungsstücke erhalten.
Dadurch ergab sich ein ganzheitliches Bild und ich erzielte Erkenntnisse bzgl. Lage von Sportplätzen, Wohnorten von Spielern, Ären von Vorsitzenden und Trainern, Bewertung der Vereinigung zwischen 02 und Erin und so weiter ...
Durch das Studium alter Zeitschriften (Verbandsorgane) des Westdeutschen Spielverbandes "Körper und Geist" bzw. "Fußball und Leichtathletik"
in den Bibiliotheken der Deutsche Sporthochschule Köln und der Deutsche Nationalbibliothek in Leipzig
konnte ich mir ein kompletteres Bild über die Fußballgeschichte machen und so den Castroper Sport besser in den Gesamtkontext einordnen,
auch wenn Artikel den Castroper Sport betreffend dort seltener zu finden sind.
Da sich das Archiv zu großen Teilen digitalisieren ließ, konnte ich es in einem letzten Schritt relativ leicht als Website erstellen.
Die nächsten Schritte könnten sein:
Das Aufsuchen weiterer Spieler aus den 60er, 70er und 80er Jahre.
Das Kopieren der einzigen noch fehlenden Nachkriegszeitungen der WAZ von 1946 - 1982 aus dem Archiv der Stadt Castrop
Die Auswertung der seit 2020 frei zugänglichen Castroper Zeitungen von 1875 bis 1945 im Internet bei der ULB Münster
Ein erneuter Besuch in der Deutsche Nationalbibliothek
Die größte Schwierigkeit liegt in meiner fehlenden Zeit, der Entfernung meines Wohnorts nach Castrop und darin, die Devotionalien zusammenzutragen.
Das hätte vermieden werden können, wenn sich der Verein eine Generation vorher seiner Geschichte bewusst gewesen wäre und mal etwas verwahrt hätte.
Das hätte wahrscheinlich einen Regalmeter ausgemacht. Dazu gehört auch, dass sich Interviewte nicht von ihren Sammelstücken trennen können, aus welchen Gründen auch immer,
denn wenn sie verstorben sind, haben die Nachkommen meist schon alles entsorgt.
Den "Anspruch auf Vollständigkeit" musste ich dadurch aufgeben.
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Ruhr-Nachrichten 30.04.2021